Wie rechte Akteur:innen den Kampf gegen Antisemitismus politisch instrumentalisieren
Und was demokratisch denkende Menschen dagegen tun können
Am 7. Oktober haben Terrorist:innen der Hamas in Israel ein Massaker begangen. Sie haben Menschen getötet, gequält und verschleppt. Die Hamas ist eine Terror-Organisation, die seit ihrer Gründung im Kern antisemitisch agiert und zu deren Zielen es gehört, Israel auszulöschen und Jüd:innen zu töten.
Das alles ist unter vernünftigen Menschen unbestritten. Auch unbestritten ist, dass es seit dieser Attacke nicht nur in Europa zu massiven Übergriffen auf jüdische Menschen und Einrichtungen gekommen ist. Jüd:innen können sich vielerorts nicht mehr frei bewegen, sie brauchen Schutz. Antisemitismus ist real, er ist eine Bedrohung und muss in jeder Form bekämpft werden.
Diese Grundüberzeugung nutzen rechte Akteur:innen im Moment geschickt, um darin ihre Agenda voranzutreiben. Sie instrumentalisieren den Kampf gegen Antisemitismus, um Organisationen und Menschen zu diskreditieren, die ihnen im Weg stehen, um Solidarität und Demokratie zu erschweren.
Drei Beispiele können erhellen, was ich meine:
Beispiel 1: Der Schwilden-Stunt
Fréderic Schwilden ist ein Journalist, der für die Welt arbeitet. Er hat deutsche Prominente gebeten, ihm ein Statement »gegen Judenhass« zu geben. Bis auf zwei Personen haben alle Angefragten abgesagt. Das präsentiert er (und ganz viele rechte Akteur:innen im Netz) nun als fehlende Bereitschaft, sich gegen Judenhass auszusprechen.
Nicole Diekmann hat zurecht darauf hingewiesen, dass diese Absage sich einfach erklären lässt: Die Angefragten sprechen nicht mit Medien von Springer. Das weiß Schwilden und das wissen alle, die sich dafür interessieren. Sophie Passmann hat vor zwei Jahren über Antisemitismus auf Instagram geschrieben. In ihrem Text heißt es:
Wer glaubt, den Nahostkonflikt in eine binäre Pro-Contra-Kategorie runterbrechen zu müssen, um den eigenen Followern möglichst plakativ zeigen zu können, wie er oder sie fühlt, hat offenbar weniger Skrupel, pietätlos mit dem Leid von Menschen umzugehen, als jemand, der einfach still ist und versucht zu begreifen. Die alte Regel, dass Schweigen bei Unrecht Zustimmung sei, lässt sich nur anwenden auf den Raum, in dem das Unrecht passiert. Es passiert kein Unrecht auf Instagram, es passiert im Nahen Osten.
Schwilden wendet also einen einfachen Trick an, um dann eine ganze Gruppe von Menschen in die Pfanne zu hauen. Wäre er ein Journalist und kein Aktivist, würde er erwähnen, was diese Menschen zu Antisemitismus schon gesagt haben. Da würde sich zeigen: Seine These ist unwahr. Er verbreitet sie trotzdem, weil er so anderen schaden kann.
Beispiel 2: Die »from the river to the sea«-Parole
Unter Palästina-Aktivist*innen ist der Slogan verbreitet, der fordert, Palästina müsse »from the river to the sea« frei sein. Diese Parole kann unterschiedlich interpretiert werden, sie stellt aber in jedem Fall das Existenzrecht von Israel infrage. Eine Reihe von Organisationen bezeichnen die Parole als antisemitisch.
Was nun geschieht, ist Folgendes: Auf Demonstrationen (hier ein Bild, das am Donnerstag in Basel aufgenommen wurde), wird diese Parole gezeigt. In diesem Fall neben einem Banner, das »Antisemitismus bekämpfen« verkündet. Im Netz wird das von Aktivist:innen sofort verkürzt: Sobald die Parole vorhanden ist, wird sie aus dem Kontext gerissen als »Aufruf zum Genozid« bezeichnet, verbunden mit der Forderung, entsprechende Demonstrationen zu verbieten.
Da auf praktisch jeder palästinensischen Demo dieser Slogan zu sehen ist (was durchaus problematisch ist), wird so versucht, die dort geäußerten Anliegen zu überdecken und die Demos zu kriminalisieren.
Beispiel 3: Emrah Erken versucht ein Newsportal zu canceln
Emrah Erken ist ein Schweizer Anwalt, der Twitter seit einer Weile nutzt, um lange Erklärungen und Einordnungen abzugeben, die entweder eine islamkritische/islamophobe Stoßrichtung haben oder die »woke«-Ideologie kritisieren. Erken verbindet dabei ausführliche historische Exkurse mit anekdotischen Verkürzungen: Was jemand macht, den oder die er als »woke« oder muslimisch taxiert, gilt für alle Menschen, die er diesen Gruppen zuordnet.
Erken hat sich in den letzten Tagen dem Kampf gegen den linken Antisemitismus verschrieben. So greift er unter anderem die migrantische Schweizer Newsplattform Baba News wie folgt an:
@baba__news, die in den sozialen Medien mit dem #BDS-Slogan "From the River to the Sea, Palestine will be free!" zur Vernichtung Israels und die damit einhergehende ethnische Säuberung und Ermordung der jüdischen Bürger aufruft, beklagt sich auf Insta, dass ich die @migros gebeten habe, die Finanzierung dieses Mediums einzustellen. Tja... Ich stehe immer noch zu meinem Aufruf! Glaubt Ihr wirklich, dass sich in diesem Land niemand findet, der sich euren Völkermordsfantasien entgegenstellt
Man sieht, wie Erken die Bausteine zusammensetzt: Zitiert eine Newsplattform einen Slogan, dann ruft sie zur Vernichtung Israels auf und sollte Unterstützungsgelder verlieren.
Es gäbe viele weitere Beispiele – und es wird weitere geben. Antisemitismus ist der Angriffspunkt, mit dem linke Aktivist:innen angegriffen werden – ähnlich wie trans Kinder der Fokus für eine Herabsetzung aller trans Menschen sind. Welche Ziele verfolgen rechte Aktivist:innen damit?
Das erkennt man, wenn man bemerkt, dass sie eigenen Werten grundsätzlich widersprechen. Das Eintreten für Meinungäußerungsfreiheit; die Bereitschaft, das bessere Argument zählen zu lassen; einen demokratischen Dialog zu wollen – die erweisen sich als Lippenbekenntnisse. Die Instrumentalisierung des Kampfes gegen Antisemitismus zeigt, dass hier keine Werte vorhanden sind, sondern es einzig und allein darum geht, die eigenen Interessen durchzusetzen und anderen den Raum zu nehmen, um mitzureden, mitzudenken, mitzubestimmen.
Was können Betroffene generell tun?
Sich über Antisemitismus informieren. Antisemitismus hat viele Spielarten, er verbreitet sich unglaublich schnell. Wer dagegen kämpfen will, muss viel wissen und lernen. Statements reichen nicht. Der Kampf gegen Antisemitismus ist schwierig und erfordert viel Kraft.
Klare Grenzen gegen Antisemitismus durchsetzen. Wer sich länger als 30 Sekunden mit einer Organisation oder einer Person auseinandersetzt, muss merken: Der Vorwurf des Antisemitismus ist lächerlich, ist eine Form von Diskreditierung, keine ernsthafte Kritik.
Eigene Narrative setzen. Sie nicht verängstigen lassen, nicht über jedes Stöckchen springen, sondern Themen so aufbringen, dass sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Über Rechte von Menschen sprechen: Klar machen, dass Menschenrechte, Demonstrationen, Meinungsäußerung, demokratische Partizipation etc. nicht verhandelbar sind, sondern allen zukommen. Genau das ist es, was rechte Aktivist:innen angreifen wollen: Die Rechte von Menschen. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht.